Unfall-Invaliditätsregulierung
Ein Fall aus der Praxis
Heute möchte ich über einen Fall in meiner Kanzlei berichten, der mich aus dem Kopfschütteln über die Gegenseite kaum heraus kommen lies.
Der Mandant hatte im Frühjahr 2011 einen schweren Skiunfall, bei dem er sich multiple Verletzungen zuzog, u. a. eine Fraktur der Halswirbelsäule.
Er meldete den Schaden seiner Unfallversicherung. Diese regulierte auch recht zeitnah. Der Unfallversicherungsvertrag sah vor, dass eine einmalige Kapitalleistung ab einem Invaliditätsgrad von 20% fließt. Ab 35% Invaliditätsgrad sieht der Vertrag die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente vor.
Nach gutachterlicher Empfehlung erkannte die Gegenseite einen Invaliditätsgrad von 30% an und kehrte diese Leistung aus. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass die Rentenzahlung nur 5% entfernt liegt.
Exkurs grenzwertige Unfallleistungen: Wenn die Bedingungen Hürden für das Erreichen von bestimmten Leistungsarten vorsieht, neigen Versicherer dazu, unter dieser Hürde bleiben zu wollen. Das gilt verstärkt für Rentenzahlungen, aber auch für Progressionsstaffeln. Wer eine solche Hürde geringfügig unterschreitet, sollte seinen Leistungsfall dringend unabhängig überprüfen lassen.
Der Versicherte gab mir den Fall zur Überprüfung und ich stellte fest, dass die Regulierung zu beanstanden ist.
Oft ist es so, dass Versicherte mit multiplen Verletzungen das Hauptaugenmerk auf die schwerste der Verletzungen legen und über die anderen Verletzungen nur am Rande berichten. So war es auch in diesem Fall. Dadurch, dass die anderen Verletzungen nicht bzw. nicht korrekt berücksichtigt wurden, war klar, dass hier die 35%-Hürde überschritten werden würde. Dem Mandanten stand also eine weitere Kapitalleistung und die Aufnahme der Rentenzahlung zu.
Ich bestellte mich also für den Mandanten als Rechtsvertreterin und brachte die Argumente hervor, die für eine Wiederaufnahme der Leistungsfallprüfung und einen höheren Invaliditätsgrad sprachen.
Die Gegenseite stellte sich erst einmal tot. Keine Reaktion, trotz mehrfacher Erinnerungen nicht. Mit dem Sachbearbeiter telefonierte ich dann über den Fall. Die Gegenseite wollte aktuelle Befunde – allerdings gab es die in der gewünschten Form nicht. Ich sprach mit dem Sachbearbeiter auch über die berufliche Situation des Mandanten, das Hauptaugenmerk auf die schwerste Verletzung und die Gründe für die fehlenden Arztbesuche. Vergessen wir hier bitte nicht: Der Mandant hatte primär eine schwere HWS-Fraktur, das hätte auch ganz anders ausgehen können. Natürlich dreht und wendet sich beim Mandanten dann erst einmal alles um die Folgen dieser schweren Verletzung. Das heißt aber doch nicht, dass die anderen Verletzungen/Beschwerden hinwegdiskutiert werden können.
Dann die Unverschämtheit des Jahres als Antwort:
„wenn Beschwerden auf neurologischem und kieferorthopädischem Fachgebiet vorliegen und der Versicherte sogar der Meinung ist, dass hierdurch eine Invalidität eingetreten ist, können wir uns nicht vorstellen, dass keine Ärzte zur Behandlung der Beschwerden aufgesucht worden sind…..“
Der Versicherer unterstellte dem Mandanten also eine Aggravation. Wir besorgten die angeforderten Atteste. Gegenüber dem Vorstand, den ich später einschalten würde, erwiderte ich auf den Aggravationsverdacht folgendes:
„…. es gibt durchaus Sachverhalte, die außerhalb der Vorstellungskraft von Leistungsfallsachbearbeitern liegen, die aber dennoch zutreffend sind…. Meinem Erstaunen darüber, dass Sie offenbar nicht erst einmal vom redlichen Versicherungsnehmer und Kunden ausgehen, verleihe ich hiermit noch einmal Ausdruck.“
Und so ist es häufig auch. Für Leistungsfallsachbearbeiter ist die vorliegende Akte erst einmal ein Stapel gesichtsloses Papier. Versicherungs-Sachbearbeiter sind von Natur aus skeptisch und suchen den „Fehler“. Ich kenne das ja nun ganz gut aus eigener früherer Erfahrung. Deshalb suchte ich ja auch den telefonischen Austausch, um der Akte ein Gesicht zu geben. Oft erreiche ich die Sachbearbeiter so auch. In diesem Fall hatte der Mandant oder ich aber das Pech einen Sachbearbeiter der Kategorie „mir doch egal“ erwischt zu haben. Die gibt es halt auch.
Die Gesellschaft ließ sich wieder Zeit ohne Ende, reagierte nicht, stellte unnötige Nachfragen nach bereits vorhandenen Adressen, etc. pp.
Und dann endlich: Teilerfolg.
Die Gesellschaft steigt erneut in die Prüfung ein. Es wurden einige Arztberichte angefordert und schlussendlich eine neue Begutachtung in Auftrag gegeben. Auch hier rühmte sich der Versicherer wieder nicht durch eine zügige Bearbeitung. Der Sachbearbeiter fiel vor allem weiter durch Inkompetenz und gelangweiltem, desinteressierten Verhalten auf. Um die weitere mühsame Korrespondenz mit diesem zu beenden, wurde dann der Vorstand eingeschaltet.
Dieser antwortete auf meine Beschwerde:
„Sie haben Recht: es ist zu Verzögerungen gekommen. Dafür bitten wir Sie um Entschuldigung.“
Na ja, wenn es nun weiter läuft, sind wir ja nicht so.
Aber das war es leider noch nicht. Der Mandant hatte nämlich das Glück oder der Versicherer das Pech, dass der vom Versicherer beauftragte Gutachter offenbar noch nicht viel mit Gutachten in der privaten Unfallversicherung zu tun hatte. Die Bewertung war völlig überzogen. Aber nun ja: Ist ja nicht unser Problem und bietet eine gute (bessere) Verhandlungsbasis, wenn wir nun nicht mehr nur über 35% streiten dürfen sondern sogar über mehr als 50% (was eine höhere Rentenzahlung zur Folge gehabt hätte)
Tja, wenn, wenn, wenn, …. .wenn der Versicherer nicht den nächsten Faux Pas begangen hätte. Der schrieb nämlich: Ist ja alles schön und gut, dass es die Bewertungen gibt, allerdings seien die Fristen zur Geltendmachung versäumt worden. Dies schrieb der Versicherer am 17.5.2013.
Leistungsablehnung wegen Fristablauf also.
Blöd, wenn der Versicherer seine eigenen Bedingungen/Schreiben nicht kennt. Denn am 2.6.2011 – also kurz nach dem Unfall, teilte der Versicherer dem Versicherten schriftlich mit.
„Bitte unterrichten Sie uns deshalb spätestens bis zum 7.6.2013, wenn dauernde Unfallfolgen verblieben sind.“
Dumm gelaufen für den Versicherer. Natürlich wurden die Ansprüche fristgerecht gestellt und konnten sogar noch vor Fristablauf noch einmal ausdrücklich wiederholt werden.
Ich mochte es sehr, dem Versicherer seinen Fehler unter die Nase zu reiben.
Die Antwort auf mein Schreiben:
„Sie haben Recht! ….“
Ja, ja, ich weiß. Das hatten wir ja schon mal.
Aber nicht, dass jetzt die Regulierung erfolgte, nein, jetzt brauchte man noch eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters. War „leider“ nicht so hilfreich für den Versicherer. Dieser kam nicht umhin, einen vernünftigen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten, wenn er diese Akte, für die er sich sicherlich nicht rühmen kann – weder auf Sachbearbeiter- noch auf Vorstandsebene – nicht auch noch vor Gericht tragen möchte.
Der Vergleich lautete dann auf die ursprüngliche Forderung meinerseits, nämlich die 35% – d.h. weitere Kapitalzahlung und lebenslange Rente.
Das Ende vom Lied:
Der Mandant bekommt also genau das, was ihm von Anfang an berechtigt zugestanden hat. Die überzogene Forderung gerichtlich geltend zu machen, hätte hier keinen Sinn gegeben. Spätestens der gerichtlich bestellte Gutachter hätte das neurologische Gutachten und die Bewertung auseinander gepflückt.
Über die Nachricht meines Mandanten zur Beendigung der Angelegenheit und meinen Dank für das entgegengebrachte Vertrauen, habe ich mich sehr gefreut:
„die Zahlung der ….. ist bei uns eingegangen. Das Bedanken liegt eher auf unserer als auf Ihrer Seite. Nochmals vielen herzlichen Dank an Sie. Ohne Ihre Hilfe und vor allem Ihrer Kompetenz und Ausdauer, wären wir gar nicht so weit gekommen – oder hätten uns von der Versicherung vielleicht einschüchtern lassen. Sie haben uns wirklich sehr sehr gut betreut und geführt. Also nochmal herzlichen Dank“
Dieser Fall hat mir sehr viel Spaß gemacht und war eine echte Herausforderung.
Brauchen Sie auch gerade Hilfe bei einem Fall? Ich erstelle Ihnen gerne ein Beratungsangebot. Nehmen Sie unverbindlich Kontakt zu mir auf und schildern mit Ihren Fall. Ich werde einige Unterlagen gezielt anfordern und mich dann mit einem Beratungsangebot melden.
1 Comment
Jan-Ingo Sommer · 29. Oktober 2013 at 12:14
Es sind doch diese „Fälle“, die unsere Arbeit interessant machen.
Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Bewältigung.
Immer wieder gut, von den Erfahrungen anderer zu lernen.